SAIL - eine Methodik für die erste Wahl, wenn es um System- bzw. Softwarearchitektur geht.

Innovation und Standardisierung ist der Titel eines Arbeitskreises des Forums Intralogistik im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), in dem sich namhafte Maschinen- und Anlagenbauer, IT-Firmen, Lagerlogistiker, Sortierspezialisten sowie Geräte- und Komponentenhersteller zusammengefunden haben. Der Arbeitskreis hat sich zum Ziel gesetzt, durch die Erstellung von Standards einen Mehrwert für Anwender und für Lieferanten von intralogistischen Systemen und Systemkomponenten zu schaffen. Ergebnis der bisherigen Arbeit ist die System-Architektur für die Intralogistik – SAIL.

Projekte in der Intralogistik sind in hohem Maße interdisziplinär und verlangen von allen beteiligten Unternehmen – von den Planern, über die Lieferanten, bis hin zu den Anlagenbetreibern – ein hohes Maß an Zusammenarbeit. Erfolg oder Misserfolg eines Projektes hängen daher nicht nur von der Qualität einzelner Produkte oder Entwicklungen ab, sondern entscheidend von dem systematischen und nachhaltigen Zusammenwirken aller Gewerke.

SAIL – die Zielsetzung

SAIL resultiert aus Standardisierungsbemühungen des Forums Intralogistik im VDMA mit dem Ziel, durch anbieterübergreifende Architekturkonzepte eine effektive Zusammenarbeit von Projektpartnern einzelner Gewerke zu erreichen. Dabei werden die Kernfunktionen einer Intralogistikanlage systematisiert und steuerungstechnische Standardfunktionen sowie Schnittstellen (zwischen den Funktionen) definiert. Logistiksysteme nach SAIL basieren auf standardisierten Funktionskomponenten, die durch ihre anbieterübergreifende Harmonisierung eine einfachere Integration unterschiedlicher Gewerke ermöglichen. Dem jeweiligen Systemanbieter wird die jeweils eigene Funktionsverteilung auf unterschiedliche Steuerungsebenen überlassen, da SAIL plattformneutral ist.

SAIL beschreibt eine Systemarchitektur für die Intralogistik (SAIL). SAIL ist eine Methodik, die Systemebenen für intralogistische Systeme sowie deren Standardfunktionen und -schnittstellen beschreibt.

Hinweis der Redaktion

SAIL wird innerhalb der Projektplanung nie im Ganzen berücksichtigt; vielmehr dienen heutzutage die niedergeschriebenen Ideen als Impulsgeber für die neuen uns bekannten digitalen und vor allem automatisierten Ansätze. Die aktuellste Ausgabe stammt aus dem Jahr 2016 (VDI/VDMA 5100 Blatt 1:2016-05).

SAIL – die Komponenten einer Förderanlage

Eine Förderanlage nach SAIL wird aus verschiedenartigen Komponenten (Components) aufgebaut. Jede Komponente (C) lässt sich einer fördertechnischen Funktion zuordnen. Die Komponenten dienen zur Kapselung der Funktionen bei der Modellierung.

Conveying Element C:CE (Förderelement)

Ein ‚Conveying Element‘ ist die kleinste Einheit. Es besteht aus einem Antrieb für die Hauptförderrichtung, den Antrieben für die abzweigenden Förderrichtungen sowie der dazugehörigen Sensorik. Es besitzt ausschließlich die Funktion Facility Control F:FC (Anlagensteuerung).

Conveying Group C:CG (Fördergruppe)

Eine Conveying Group ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Gruppe von Conveying Elements mit der Funktion Facility Control F:FC (Anlagensteuerung) betreibt. Sie ist also eine Zusammenfassung von Förderelementen, die zusammen ein komplexes Anlagengebilde darstellen können, das nach außen einen sogenannten Verzweigungspunkt darstellt. Dementsprechend besitzt die Fördergruppe eine Richtungsentscheidungsinstanz Direction Control F:DC (Richtungsentscheidung) mit den entsprechenden Betriebsparametern.

Conveying Segment C:CS (Fördersegment)

Ein Conveying Segment ist dadurch gekennzeichnet, dass es für eine Gruppe von Conveying Groups die Funktion Mission Management F:MM (Fahrauftragsverwaltung) bereitstellt.

Conveying Area C:CA (Förderbereich)

Eine Conveying Area besteht aus einer Gruppe von Conveying Segments, für die es die koordinierende Funktion der Ressource Utilization F:RU (Ressourcennutzung) bereitstellt.

SAIL – Innovation durch standardisierte Funktionen

Die Zerlegung einer Intralogistikanlage nach Funktionen ermöglicht eine plattformunabhängige Modellierung mit wiederverwendbaren Bausteinen. Im Gegensatz zur früher üblichen Zerlegung in verschiedene Anlagenebenen rückt so die Betrachtung der eigentlichen Logistik ins Zentrum der Modellierung und nicht der Prozess. Eine Komplexitätsreduzierung und eine Hierarchisierung ergeben sich dabei zwangsläufig als Sekundäreffekt. Inspiriert durch die objektorientierte Programmierung, die bereits in anderen Bereichen zu einem Paradigmenwechsel geführt hat, erfolgt mit SAIL eine Übertragung dieses Ansatzes auch auf die Modellierung von Intralogistiksystemen.

Maßgeblich für die gedankliche Aufarbeitung durch die Anlagenbauer sind die folgenden Denkschritte

  • Primäre Anlagenzerlegung nach Funktionen und nicht nach Ebenen
  • Kapselung der gefundenen Funktionen in Komponenten
  • Standardisierung der Schnittstellen einzelner Komponenten
  • Bereitstellung von standardisierten Steuerungskomponenten analog zu verfügbaren Mechanik-Komponenten

Daraus ergeben sich folgende Funktionen (wie oben bereits aufgeführt)

  • Direction Control F:DC (Richtungsentscheidung)
  • Facility Control F:FC (Anlagensteuerung)
  • Mission Management F:MM (Fahrauftragsverwaltung)
  • Resource Utilization F:RU (Ressourcennutzung)
  • Transport Coordination F:TC (Transportkoordination)

SAIL – die Funktion: Direction Control F:DC (Richtungsentscheidung)

Die Funktion Direction Control F:DC (Richtungsentscheidung) entscheidet, ob und in welcher Richtung ein Transportobjekt an einem Entscheidungspunkt gefördert werden soll. Dies geschieht auf Grundlage definierter Betriebsparameter und den gegebenenfalls vorhandenen Fahrauftragsdaten für das Transportobjekt, das sich gerade an diesem Punkt befindet.

Für identifizierbare Transportobjekte muss für jede Richtungsentscheidung der Transportauftrag betrachtet werden. Je nach Größe der Anlage, der Struktur der Fahraufträge und den vorhandenen Speichermöglichkeiten ist die Ermittlung der Weiterfahrrichtung aus dem Fahrauftrag mehr oder weniger komplex. Um immer eine schnelle Reaktionszeit zu gewährleisten, wird die Ermittlung der Daten von der Funktion Mission Management F:MM (Fahrauftragsverwaltung) ausgeführt.

Bei nicht identifizierten Transportobjekten muss mindestens die Bestätigung vorhanden sein, dass es ein unbekanntes Förderobjekt (UFO) ist. Ist das der Fall, kann in der Regel schon entschieden werden, wohin dieses UFO zu transportieren ist. Wenn UFOs situationsbedingt und somit nach nicht trivialen Strategien behandelt werden sollen, muss eine entsprechende Zielanfrage an eine externe Instanz Resource Utilisation F:RU (Ressourcennutzung) gestellt werden. Handelt es sich um ein identifizierbares Transportobjekt, das aber keinen Fahrauftrag hat (Schwarzfahrer), richtet sich die Behandlung nach fest programmierten Regeln oder nach einer parametrierbaren Richtungsanweisung. Das Gleiche gilt, wenn die Fahrauftragsverwaltung für ein Transportobjekt zwar einen Fahrauftrag hat, dieser aber keine spezielle Richtungsanweisung liefert.

SAIL – die Funktion: Facility Control F:FC (Anlagensteuerung)

Die Funktion Facility Control F:FC (Anlagensteuerung) bedient direkt die Anlage. Sie realisiert alle Entscheidungen, die für die Eigensicherheit der Anlage und die Durchführung eines Transportschrittes notwendig sind. Auf dieser Ebene fällt also die Entscheidung, ob gefördert werden kann oder nicht. In der Regel wird dazu nur die Freigabe des Folgeförderers betrachtet. Die Richtung, in welche das Transportgut zu fördern ist, erhält die Anlagensteuerung als Ergebnis der Funktion Direction Control F:DC.

SAIL – die Funktion: Mission Management F:MM (Fahrauftragsverwaltung)

Die Funktion Mission Management F:MM (Fahrauftragsverwaltung) stellt für die Funktion Direction Control F:DC (Richtungsentscheidung) die relevanten Daten (siehe dazu auch Informationen in der Intralogistik) des Fahrauftrags zur Verfügung. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, über die Identifikation des Entscheidungspunktes und des Transportobjekts die Information zu liefern, ob eine Richtungsanweisung vorliegt und welche Ausprägung diese hat. Dieser Vorgang stellt hohe Anforderungen an die Reaktionszeit. Zudem ist diese Funktionsgruppe dafür verantwortlich, Fahraufträge anzulegen, zu ändern und zu löschen, wenn dies von der beauftragenden Funktion Resource Utilisation F:RU (Ressourcennutzung) verlangt wird. Die Aufträge von F:RU stellen keine hohen Anforderungen an die Reaktionsgeschwindigkeit.

Bei der Beantwortung einer Richtungsanfrage wird zuerst der Fahrauftrag über die Identnummer des Transportobjektes ermittelt. Ist diese Funktion routingfähig, reicht für die Ermittlung der Richtung das Vorliegen des Endzieles des Transportes. Das Mission Management ermittelt dann selbst die konkrete Förderrichtung. Wenn diese Funktion nicht routingfähig ist, wird im Fahrauftrag gesucht, ob für den aktuellen Punkt eine Anweisung gegeben wird. Falls ja, wird diese übermittelt, falls nein, wird stattdessen eben diese Tatsache übermittelt. Damit gewinnt man die Freiheit, je nach Erfordernis, für sehr einfache Fahraufträge mit nur der Angabe des Endzieles oder mit einem oder mehreren Wertepaaren Punkt/Richtung die jeweils passende Implementierung zu wählen.

SAIL – die Funktion: Resource Utilization F:RU (Ressourcennutzung)

Die Funktion Resource Utilization F:RU (Ressourcennutzung) kennt den aktuellen Belegungszustand der Transportsysteme, deren mögliche Transportkapazitäten und Struktur, die vorliegenden Transportaufträge sowie die notwendigen Strategieparameter zur Nutzung der freien Ressourcen. Hier wird entschieden, welches von mehreren konkurrierenden Transportobjekten eine freie Ressource nutzen darf. Daraus resultiert die Vergabe eines neuen Fahrauftrages an die Funktion Mission Management F:MM (Fahrauftragsverwaltung) oder die Änderung/Löschung eines bestehenden Fahrauftrages. Die Funktionsgruppe Resource Utilization F:RU (Ressourcennutzung) bedient sich zur Verfolgung ihrer Betriebsstrategien auch der Parametrierung der Entscheidungspunkte bei der Funktionsgruppe Direction Control F:DC (Richtungsentscheidung).

SAIL – die Funktion: Transport Coordination F:TC (Transportkoordination)

Die Funktionsgruppe Transport Coordination F:TC (Transportkoordination) ist die Schnittstelle zu den umgebenden, nicht zum Materialflusssteuerungssystem gehörenden, Systemen. Diese Systeme beauftragen bei der Funktionsgruppe Transport Coordination F:TC (Transportkoordination) ihre Transporte und erhalten von ihr alle relevanten Daten und Statusinformationen. Die Funktion Transport Coordination F:TC (Transportkoordination) trägt dabei die Verantwortung, dass alle bei ihr beauftragten Transporte zur richtigen Zeit am richtigen Ort fertiggestellt werden. Auch bei einer großen Anzahl von Transportaufträgen (Hochlastbetrieb) müssen die passenden Betriebsstrategien ermittelt werden. Dort sind zum Beispiel auch Funktionen zur Gruppierung und Sequenzialisierung mehrerer Transportaufträge angesiedelt. Um eine maximale Auslastung zu erreichen, werden die Verfügbarkeiten aller Bereiche und Systeme betrachtet und in der Laststeuerung für einzelne Transportsysteme berücksichtigt. In der Funktionsgruppe Transport Coordination F:TC (Transportkoordination) findet auch die Organisation von Sammeltransporten, Rundgängen und Batchbildungen statt.

SAIL – die Vorteile

In der Summe bietet der hohe Wiederverwendungsgrad der gekapselten Funktionen von SAIL einen klaren Kostenvorteil durch reduzierten Anpassungsaufwand, höhere Standardisierung, einen reiferen Implementierungsgrad und kürzere Zeiten für die Inbetriebnahme.

Vorteile für den Betreiber

  • Transparenz aller Funktionen bis zum letzten Geber
  • Projektrisiko der Schnittstellenanpassung entfällt
  • Architekturharmonisierung
  • Verkürzte Projektlaufzeiten
  • Sicherer Betrieb
  • Vereinfachter Service
  • Erhöhte Systemverfügbarkeit durch klare Funktionsabgrenzung in der Betriebsphase
  • Flexibilität bei späterer Anlagenmodifizierung
  • Risikoarme Austauschbarkeit funktional abgegrenzter Teilgewerke oder Komponenten in der Modernisierungsphase (Retrofit)

Vorteile für die Projektleiter

  • Gesteigerte Planungsintelligenz durch einheitliche und eindeutige Begriffsdefinition und Kommunikationsmethoden
  • Einfache Umsetzung des Kundenwunsches
  • Kunde sagt, was er will, Lieferant sagt, was er liefert
  • Projektpartner verständigen sich auf derselben Basis
  • Architekturharmonisierung als Kostenbremse
  • Implizierter Nutzen durch wiederverwendbare standardisierte Komponenten
  • Geringere Projektkosten bei hoher Lösungsqualität
  • Modulare Baukastensicht der Anlage in der Planungsphase
  • Transparente Funktionsbewertung in der Beschaffungsphase
  • Klare Funktionsabgrenzung bei der interdisziplinären Zusammenarbeit während der Realisierungsphase
  • Eindeutige Schnittstellendefinition an den Bausteingrenzen während der Realisierungsphase

Zusammenfassung SAIL

SAIL (System Architektur für die Intralogistik) ist eine im Forum Intralogistik im VDMA erarbeitete Lösung, um bei intralogistischen Systemen und Systemkomponenten Standards zu schaffen; dadurch entsteht ein Mehrwert sowohl bei deren Anwendern als auch bei deren Lieferanten. Standardisierungen sorgen dafür, dass alle Gewerke systematisch und nachhaltig reibungslos zusammenarbeiten können. Dies bringt gerade bei intralogistischen Projekten, die sehr interdisziplinär sind, viele Vorteile mit sich. SAIL hat besonders innovativen Charakter, da eine Intralogistikanlage nicht in einzelne Anlagenebenen aufgeteilt wird; stattdessen erfolgt eine Zerlegung nach Funktionen.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie auch unter Funktionen des Lagers sowie unter Lagerzone.

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